…oder: Wie wir den Weltuntergang vertagen.

Markenkampagnen waren schon immer ein Spiegel der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen. Sie zeigen in markanter und kondensierter Weise die Wünsche, Sehnsüchte aber auch Ängste der Menschen auf.

Auf der anderen Seite werden Methoden Tools und Vorgehensweisen in Marketingabteilungen auch durch den aktuellen gesellschaftlichen Diskurs maßgeblich beeinflusst. Daher ist ein Blick auf unsere aktuelle Lage sehr spannend und liefert wertvolle Erkenntnisse, wie auch das Marketing wieder kraftvoller und durchschlagskräftiger werden kann:

Wenn man sich beispielsweise die Diskussionen rund um die Themen Industrie 4.0, Digitalisierung, Umwelt, Zuwanderung und Demokratie ansieht, dann steht es schlecht bestellt um die Zukunft der Menschheit: Aufgrund der Digitalisierung und der Entwicklungen zur Industrie 4.0 verliert ein Großteil der Bevölkerung die Erwerbsgrundlage. Durch allgegenwärtige Berichte und Hinweise in den sozialen Medien bekommen wir den Eindruck, die Welt ertrinkt im Plastik, die Klimakatastrophe ist nicht mehr aufzuhalten und die ansteigende Zuwanderung beginnt unseren sozialen Frieden ins Wanken zu bringen.

Wir merken, dass die Welt um uns im wahrsten Sinne des Wortes in Bewegung geraten ist und dass die Ereignisse schnell und fundamental vonstattengehen.

Viele von uns (und da nehme ich mich nicht aus) betrachten diese Entwicklungen mit großer Sorge und wir ziehen für die Zukunft keine positiven Schlussfolgerungen. Das Bild, was wir malen ist meist ein düsteres, ein dystopisches Bild.

Die Gründe dafür sind vielfältig. Wir glauben nicht daran, dass sich die Welt zum Besseren entwickeln kann. Der Satz „Die Zukunft war früher auch besser“[1], umschreibt die Sichtweise, dass wir dazu neigen, die Vergangenheit zu glorifizieren, die Gegenwart als problembeladen wahrzunehmen und im Weiteren negative Zukunftsperspektiven zu zeichnen. Das liegt daran, dass wir Menschen uns mit Veränderungen schwer tun, noch dazu, wenn sie uns schnell und fundamental ereilen. Aus der Sozialforschung weiß man, dass soziale Systeme[2] zur Entwicklung stabiler Interaktionsmuster tendieren. Das bedeutet, dass wenn wir in der Vergangenheit mal mit etwas Erfolg hatten, dann wollen wir das immer und immer wieder auf die gleiche Art machen. Der Status Quo der Vergangenheit soll sich nicht verändern – „Es hat doch damals ganz gut funktioniert.“

Zu dieser Eigentümlichkeit sozialen Verhaltens kommt noch ein weiterer Grund warum wir mit Veränderungen Probleme haben: Wir sehen eher die Schwierigkeiten, als mögliche Wege, die um das Problem herum führen könnten. Und dieser Punkt ist vielleicht sogar ein spezifisch Deutscher: Wir sind problem-zentriert. Das heißt, wir haben gelernt, Herausforderungen problem-/lösungsorientiert zu begegnen. Damit meine ich, dass wir für jedes Problem, welches wir vor uns sehen, auch eine sehr spezifische Lösung entwickeln wollen. Dazu muss man sich intensiv mit dem Problem auseinandersetzen, um eine entsprechende Lösung zu finden. Was machen wir? Wir fokussieren uns auf die Probleme anstatt nach neuen (Lösungs-)Wegen zu suchen. Dieses Verhalten bekommen wir übrigens schon in der Schule eingetrichtert.

Das Resultat ist, dass wir vor lauter Problemen, die sich vor uns auftun in ein Gefühl der Überforderung verfallen und nur noch dystopische Zukunftsbilder vor uns haben – alles wird schlechter. Rutger Bregman[3] fasst das sehr anschaulich in einem Satz zusammen: «Das wahre Problem unserer Zeit ist nicht, dass es uns nicht gut ginge oder dass es uns in Zukunft schlechter gehen könnte. Das wahre Problem ist, dass wir uns nichts Besseres vorstellen können“ (oder vielleicht auch nicht wollen…).

Und es ist schon richtig, dass die Veränderungen, die wir zurzeit erfahren, als beängstigend wahrgenommen werden können. Sie verlaufen in einer noch nie dagewesenen Geschwindigkeit und die technischen Entwicklungen gehen in den Möglichkeiten schon weit über das hinaus, was wir gerade im Moment in der Lage sind uns vorzustellen. Dadurch bekommen wir den Eindruck, dass wir das Ruder aus der Hand gegeben haben. Verstärkt wird dieser Eindruck, durch eine fast schon hysterische öffentliche Debatte über mögliche Lösungsmethoden: „Die Top Ten Tipps, die Sie beachten müssen, um mit der Digitalisierung Schritt zu halten“, oder „Bringen Sie mehr Menschlichkeit ins Unternehmen, durch Achtsamkeit und bunte Sitzecken“. Solche Mantras helfen nicht, einem die Angst zu nehmen. Im Gegenteil: Sie verstärken den Eindruck, dass man selber nicht mehr Herr der Lage und gestaltender Teil einer gesellschaftlichen Zukunft ist.

Derweil gäbe es durchaus Möglichkeiten sich den Herausforderungen zu stellen. Diese lassen sich nur nicht so leicht in ein einfaches Rezept oder eine simple Formel packen und Punkt für Punkt abarbeiten. Jedes Unternehmen ist anders und komplexe Herausforderungen kann man nicht mit einfachen althergebrachten Lösungen begegnen.

Der zentrale Punkt ist, dass es um eine Veränderung unserer Haltungen und Einstellungen geht. Wir sollten die aktuellen und noch kommenden Entwicklungen und die daraus resultierenden Herausforderungen angehen, wie ein Mountainbiker, der auf einem Down-Hill-Kurs Richtung Tal saust. Ein guter MTB-Fahrer weiß, wenn er ein Hindernis fixiert, ist die Chance groß, dass er mit dem Hindernis kollidiert.

Wir alle kennen das von kleinen Kindern die gerade Fahrradfahren gelernt haben und die man vor einem Hindernis warnt: „Vorsicht, vor Dir liegt ein Stein. Pass auf, dass Du ihn nicht triffst!“ und bums, das Kind kollidiert mit hoher Wahrscheinlichkeit mit dem Stein.
Was passiert hier? Das Kind fixiert den Stein, um bloß nicht gegen den Stein zu fahren und trifft dabei doch mit Sicherheit den Stein. Das Kind vergisst, rechts und links des vor ihm liegenden Hindernisses nach der nächsten Ausweichmöglichkeit Ausschau zu halten, um einen besseren Weg zu finden, der um das Hindernis herumführt.

Ähnlich ergeht es uns in der Gesellschaft sowie im Marketing: Um in einer komplexer werdenden (und immer weniger komplizierten[4]) Welt den richtigen Weg zu finden, braucht es eine veränderte innere Einstellung und Haltung, die den Blick für Neues eröffnet, damit kreative Lösungswege und neue Handlungsmuster ermöglicht werden.

Und damit meine ich nicht, dass man gegenüber Veränderungen, die aktuell passieren, offen ist, diese aufgreift und mit bekannten Handlungsanleitungen begegnet, sondern, dass man bereit ist, komplett neue Handlungsmuster in den Unternehmen und der Gesellschaft anzustoßen.

Um es mit einem Marketing-Beispiel zu beschreiben:

Ein Unternehmen, das in der Vergangenheit erfolgreich Technologieprodukte entwickelt und vermarktet hat, sieht sich plötzlich damit konfrontiert, dass viele seiner Leistungen, die auf elektrotechnischen Komponenten basierten, nun durch einfache Softwareanwendungen substituiert werden. Alles ist mit allem vernetzt und alles kann individualisiert werden. Die Branche, in der das Unternehmen tätig ist, verändert sich von einem Technologiemarkt hin zu einem Solutionsmarkt. Erste Anbieter aus Fernost und Übersee sind schon auf diesem Markt aktiv und fangen an, dem etablierten Platzhirsch Marktanteile streitig zu machen. Das Unternehmen gerät in eine bedrohliche wirtschaftliche Schieflage.
Diese Entwicklung wird heute gerne mit dem Satz „Software eats everything“ umschrieben und findet sich an vielen Stellen. Man führe sich nur vor Augen, was Apples iPhone-Konzept für nachhaltige Umwälzungen auf viele technologiebasierte Märkte hatte: Sie brauchen heute keinen physischen Kompass mehr, sie haben eine Software-App auf Ihrem Smartphone. Früher brauchten sie ein eigenes Navigationsgerät, heute haben sie eine Sofwareanwendung – google-maps – auf ihrem Handy. Tom Tom – bye bye. Eine mechanische Uhr am Handgelenk, um die Zeit anzuzeigen? Warum? Ich habe doch eine Uhr am Handy. Auch das Telefonieren an sich, ist nur eine Softwareanwendung unter vielen auf Ihrem Smartphone. Ein Festnetzanschluss mit stationärem Telefon brauchen sie nicht mehr zwingend. Und so weiter und so fort…

Zurück zu unserem Technologieanbieter. Dieser erkennt die Zeichen der Zeit, und beschließt eine Repositionierung der Marke – ein Strategiewechsel muss her: vom Technologieanbieter hin zu einem Lösungsanbieter. Damit das auch alle mitbekommen, gibt man sich eine komplett neue Markenerscheinung und informiert über diesen Schritt die Welt (und die eigenen Mitarbeiter) durch eine neue Marketingkampagne. „Wir sind jetzt der führende Lösungsanbieter für XYZ“ (was wir früher als Technologieanbieter auch schon waren). Ein paar tolle neue Bildwelten, die zum Zeitgeist passen und fertig scheint das neue Unternehmen.

Das gleiches passiert, wenn ein verstaubter Konzern es nicht mehr schafft, genügend neue Fachkräfte zu werben und dann beginnt sein Arbeitgeberimage mit bunten Sitzecken und agiler – New Work-Mäßiger Innenarchitektur aufzupeppen und dazu bunte Stellenanzeigen mit coolen Hipster-Sprüchen schaltet.

Wenn die Umbauten, die Kampagnen und die Marken gut gemacht sind, gibt es ein helles, stark leuchtendes Feuer, das durch das Marktumfeld und das eigene Unternehmen geht. Wenn sonst nix weiter geschieht, ist es ein Strohfeuer, das erlischt, sobald das Geld für die Kampagne aufgebraucht ist oder die Kunden und potentiellen Young Professionals erste Erfahrungen mit der neu positionierten Unternehmensmarke machen. Denn dann stellt der Kunde meist fest, dass er nach wie vor noch technologiebasierte Produkte angeboten bekommt und der Laden immer noch ein verstaubtes Bürokratie-Monster ist.

Nur zu hoffen dass eine neue Markenkampagne, reichweitenstark in den Markt geblasen, schon zu den richtigen Business-Resultaten führt, oder wegen einer neuen Inneneinrichtung und einem BahnCard 100 Abo einem die Young Professionals die Bude einrennen, ist mehr als blauäugig und vermittelt eher den Eindruck vom Pfeifen im dunklen Walde.

 

Wenn wir nicht anfangen unsere inneren Denk- und Handlungsmuster von Passiv auf Aktiv umzustellen, werden wir mit Sicherheit auf die Hindernisse zu fahren, die wir vor uns glauben zu sehen und meinen lösen zu können in dem wir das machen was wir immer getan haben: Probleme lösen anstatt nach neuen Wegen zu suchen.

Um das Hindernis zu umfahren und den richtigen Weg dafür zu finden, braucht es einen klaren Blick, einen unvoreingenommenen Geist und eine genaue Vorstellung von sich selbst, was man kann und was man (noch) nicht kann. Last but not least braucht man eine gute Vorstellung davon wie die Topografie des Berges aussieht, damit man festlegen kann, welcher Weg für einen selbst der beste ist, um den Berg herunterzufahren. Wenn man keine Landkarte hat oder die nötige Vorstellungskraft und Haltung nicht entwickelt, wird man früher oder später ins Schleudern kommen.

 

Um nochmal kurz auf unser Eingangsbeispiel mit den Gesellschaftlichen Entwicklungen zu rückzukommen:

Unser „Denken“ und unsere „Haltungen“ sind durch unsere sozialen Narrative und Handlungsmuster aus der Vergangenheit geprägt. Diese können durch einen Dialog, über unsere Vorstellungen/Ideen explizit gemacht und durch Joint Action verändert werden. Genau das fehlt in unserer Gesellschaft: Dialog und Joint Action, um neue gesellschaftliche Lernprozesse anzustoßen („Warum hat früher etwas funktioniert“) und neue Wege zu finden (Wie müssen wir unsere Verhaltensmuster umstellen, damit wir das neue Ziel erreichen“). Dabei sollten wir versuchen ein gesellschaftlich tragfähiges Bild von uns in der Zukunft zu entwickeln.

Auf dem Weg dahin wird man neue Dinge ausprobieren und testen. Wer sagt denn bitte schön, dass beispielsweise ein bedingungsloses Grundeinkommen nicht funktioniert? Klar funktioniert es nicht, wenn man die Daten und gesellschaftlichen Konzepte der Vergangenheit mit althergebrachten Denkmustern in die Zukunft projiziert.

Man könnte aber auch die Frage formulieren, wie sich denn ein Wirtschaftskreislauf und ein Gesellschaftssystem nach heutigem Muster aufrechterhalten und finanzieren ließe, wenn signifikante Teile der Bevölkerung nicht mehr einer Erwerbsarbeit nachgehen können (und werden), die dazu gereicht das bisherige Wirtschaftssystem und unsere Vorstellung von wirtschaftlichem Wachstum durch Konsum zu befeuern?

In unserer Gesellschaft haben wir das Narrativ vom Erfolgsmodell der Erwerbsarbeit, das auf unserem gesellschaftlich anerkannten Modell (Denkweise) basiert: Wenn Arbeitstätigkeiten durch neue Technologien überflüssig gemacht werden, entstehen an anderer Stelle neue Arbeitsplätze und das System bleibt bestehen (siehe Prinzipien in Sozialen Systemen[5]). Das könnte auch diesmal passieren. Nur gehen diese Veränderungen heute so schnell voran, dass man diese Prozesse nicht sich selbst überlassen sollte. Wir müssen den Veränderungsprozess an sich aktiv gestalten, wozu es ein klares Verständnis davon braucht, wie die Zukunft sein soll. Und wenn wir dieses Verständnis von unserer Zukunft aktiv formulieren und unter der Prämisse betrachten, dass wir selber aktiver Teil der zukünftigen Entwicklungen sind, ist nicht davon auszugehen, dass wir ein Weltuntergangsbild malen.

 

Bleibt die Frage, warum wir uns von P4X (Positioning4Change) mit solchen Themen beschäftigen. In unserer Arbeit geht es darum Unternehmen bei strategischen Herausforderungen zu begleiten. Bei solchen Herausforderungen reicht es nicht aus das Bestehende zu optimieren (Stichwort KVB – Kontinuierlicher Verbesserungsprozess). Meist müssen Markenpositionierungen oder -strategien entwickelt werden, welche helfen das wirtschaftliche Überleben unserer Klienten zu sichern. Hier reicht es eben nicht aus, die klassischen Ansätze einfach weiter zu führen. Es müssen aktiv neue Wege beschritten werden. Denn wenn man ein solches Veränderungsvorhaben als Unternehmen ernst nimmt, steht man schnell vor der Frage, wie man die Kultur der Organisation auf die neue Markenstrategie einstellt. Beten und Predigen hilft dabei nicht, wenn die Mitglieder der Organisation ein aktiver Teil des Markenerlebens sein sollen. Dazu braucht es ein „Sich-Selbst-Erfinden“ bei allen relevanten Stakeholdern im Unternehmen. „Umparken im Kopf“ eben – übrigens einer der schönsten Repositionierungs-Claims, die ich kenne…

Na? Wer hat’s erfunden? 😉

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#positioning # brand # marketing #brandmanagement #change #transformation

[1] Karl Valentin

[2] Soziale Systeme: Soziales System ist ein zentraler Begriff der soziologischen Systemtheorie, der eine Grenze zieht zum Ökosystem, zum biologischen Organismus, zum psychischen System sowie zum technischen System. Sie alle bilden die Umwelt sozialer Systeme. Mindestvoraussetzung für ein soziales System ist die Interaktion mindestens zweier personaler Systeme (Menschen) oder Rollenhandelnder (Akteuren). Weitere Informationen, u.a. Wikipedia, Soziale Systeme „Soziale Systeme“.

[3] Rutger Bergmann, geboren 1988 in den Niederlanden, ist Historiker und Journalist und einer der prominentesten jungen Denker Europas. Bregman wurde bereits zweimal für den renommierten European Press Prize nominiert. Er schreibt für die «Washington Post» und die «BBC» sowie für niederländische Medien.

[4] Komplex vs. Kompliziert siehe dazu Agile4work oder Harald Lesch auf ZDF Wissen

[5] Prinzipien in Sozialen Systemen: „Soziale Systeme erhalten und organisieren sich selbst (Autopoiese)“, „Soziale Systeme inszenieren ihre organisationalen Verhaltensmuster auch in neuen Kontexten (Selbstähnlichkeit“), zitiert aus: Schulungsunterlagen der WSFB – Beratergruppe Wiesbaden, 2018.