Im Mai hatte ich Geburtstag. Ich war mit meiner Frau auf Fuerteventura – Kitesurfen, entspannen, Sonne tanken und meinem eigenen Geburtstagstrubel entfliehen. Wirklich? Kann man in Zeiten moderner Kommunikationsmedien seinem Geburtstag entfliehen? Wohl kaum.

Menschen, die man zu seinem Familien-, Freundes- und Bekanntenkreis zählt denken am Geburtstag an einen und wollen dem Jubilar Glückwünsche übersenden, sich in Erinnerung rufen und vielleicht einen abgerissenen Kontakt wieder auffrischen.

Früher hat man sich dazu einen Vermerk in den Kalender gemacht und eine Postkarte oder einen Brief an geschrieben oder das Geburtstagskind kurzerhand angerufen.

Auf diese Art kam man wieder in ein persönliches Gespräch und konnte das Neueste direkt mit einander austauschen und seine Beziehungen vertiefen. Geburtstagspost hat man mit etwas Verzögerung im Großen und Ganzen Step by Step beantwortet oder wenn man bei einem runden Geburtstag einen Rundumschlag machen wollte, hat man eine nette Antwortkarte drucken lassen, diese verschickt und sich bedankt. Auch das hat die Qualität der der Beziehung verstärkt. Hatte man doch im Idealfall eine nette oder mehr oder weniger kreative Antwortkarte bekommen, die etwas über das Geburtstagskind erzählt. Alles in allem zeitaufwendig, vor allem wenn man noch persönliche Worte finden wollte.

 

Heutzutage funktioniert es ähnlich: Man hat seine Beziehungen größtenteils in die sozialen Medien verlagert. Auf WhatsApp, Facebook, Messenger, Xing, LinkedIn, wird man an die Geburtstage der Menschen aus seinem (mehr oder weniger) persönlichen Umfeld erinnert. Man kann auf dem Weg zur U-Bahn einfach mal schnell einen Gruß ins Handy eintippen, ein paar lustige Bildchen oder ein GIF dazu und ab die Post. Meist bieten heute die meisten Social-Plattformen schon vorgefertigte Texte an, die man nur noch ergänzen oder abändern braucht und der „Kaas is ‚bissen“, wie man bei mir in Bayern sagt. Man hat sich auf schnelle und einfache Art ins Gedächtnis gerufen und derjenige, der die Message bekommen hat freut sich, dass jemand an ihn gedacht hat. Zumindest ich freue mich aufrichtig über jede einzelne Nachricht, die ich zu meinen Geburtstag bekomme. Die Hemmschwelle und der Aufwand jemanden heutzutage auf einfache und schnelle Art und Weise zum Geburtstags zu gratulieren ist also ziemlich niedrig.

 

Nun hat man aber heutzutage auch ein Problem: Da die Hemmschwelle so gering ist, nimmt auch die Anzahl der Glückwünsche zu, was den Effekt hat, dass man ziemlich viel Arbeit hat, wenn man alle Glückwünsche individuell beantworten möchte. Ich habe an meinem Geburtstag alleine gute vier Stunden damit verbracht einzelne Glückwünsche die via WhatsApp, Messenger und Mail reinkamen individuell zu beantworten. Nochmal halb so lange um Glückwünsche zu lesen, zu liken und wenigstens in Teilen individuell mit einem Emoji oder einen kurzen Satz zu beantworten, die über Facebook reinkamen. Den Rest habe ich mit einem Post auf meiner Timeline gesammelt beantwortet. Da war Facebook so freundlich mir eine vorgefertigte Animation zur Verfügung zustellen.

In diesen sechs bis acht Stunden hab ich mir gedacht, dass man diese ganze Posts doch eigentlich mit einem automatisierten Chatbot beantworten könnte. Das würde mein Leben enorm vereinfachen und ich hätte mehr Zeit für was anderes…was anderes….ja was eigentlich? Keine Angst, mir fallen 1000 und eins andere Dinge ein, die ich stattdessen machen könnte. Aber will ich das? Im Gengenzug sieht es doch so aus: Die praktischen Social-Plattformen erinnern einen an JEDEN Geburtstag von allen Menschen, die daran erinnert werden möchten. Ergo hat man im Schnitt jeden Tag 2-3 Geburtstagsgrüße die man verschicken könnte. Könnte wohl gemerkt. Man könnte jetzt einen Bot einrichten, der in meinem Auftrag jedem eine Geburtstagsmail schickt, der gerade in meinem Umfeld Geburtstag hat. Der Bot würde die Art und Weise lernen, wie ich Glückwünsche zuschreiben pflege und es würde sich für meine Bekannten so anfühlen, als wäre ich es selbst, der gratuliert. Logischerweise würde dann im Gegenzug der Bot des Jubilars eine Antwortmessage verschicken – vielleicht mit etwas Zeitverzögerung und schön brav individualisiert mit persönlichem Schreibstil. Der Effekt wäre, dass am Ende Bots zu Bots sich Geburtstagsnachrichten schicken würden und die realen Personen dahinter hätten viel Zeit für Dinge, die sie diesem Moment für sinnvoll erachten. Super!!! Wollen wir das? Ist das der Sinn?

Bevor sie jetzt antworten: Ich bin noch nicht fertig, denn man könnte das Ganze viel weiter drehen, als das was ich oben gerade beschrieben habe:

Ich habe vor kurzen einen recht interessanten Beitrag von einem ehemaligen Kollegen gesehen, in dem es um den Google Assistent geht. Das ist ein Bot, eine KI die in der Lage ist für beliebige Personen beliebige telefonische Aufgaben zu erledigen, wie zum Beispiel einen Termin beim Frisör zu vereinbaren oder beim Arzt, oder ähnliches. Seht selbst: https://www.facebook.com/circuitbreaker/videos/2045943969031755/

Für den Kommunikationsempfänger in dem kleinen Videobeispiel ist nicht erkennbar, dass es sich bei dem Kommunikationssender um einen Chatbot handelt, da sich der Chatbot nicht als einen solchen zu erkennen gibt. Mein Kollege, der das gepostet hat, hat nun die Frage aufgeworfen, ob man als reale Person nicht wissen möchte, wenn man zu einem Chatbot spricht.

Kluger Einwand. Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter: Wie man auch mit meinem Geburtstagsbeispiel sieht, wäre es absurd, würden wir soziale Tradition der Geburtstagswünsche – sei es schriftlich oder direkt via Telefonat – an einen Chatbot auslagern. Es würde eine Qualität menschlicher Kommunikation und damit des menschlichen Zusammenlebens verlorengehen.

Das Video-Beispiel mit dem Chat bot zeigt unmissverständlich wo wir stehen: Wir können alles mit einem Algorithmus beantworten. Wir stehen quasi vor den paradiesischen Zeiten, die unsere Großeltern in Märchen und Fabeln, wie dem „Schlaraffenland“ vorgelesen haben. Aber es kommen mir dabei auch Märchen in den Sinn wie die Heinzelmännchen aus Köln oder „Der Zauberlehrling“ von J.W. v. Goethe.

Jeder der sich nicht mehr ganz erinnern kann, dem seien hier die Gedichte und Filme zu diesen Geschichten ans Herz gelegt – immer wieder schön anzusehen, bzw. zu lesen:

Schlaraffenland: (https://shrtm.nu/j2M5)

Heinzelmännchen aus Köln: (https://shrtm.nu/KZfl)

Zauberlehrling: (Schulfilm – Der Zauberlehrling Download)

 

 

Ich will hier nicht irgendwelche Dystopien an die Wand werfen. Mir geht es um was anderes: Wir stehen an einem Punkt, wo wir uns die Frage stellen sollten: Wie wollen wir leben? Wie wollen wir unseren Tag verbringen?

Und das „Wie“ möchte ich an dieser Stelle nochmals semantisch sauber decodieren, wie ich es verstandenen wissen möchte:

Es geht nicht um das „WIE man etwas ausgestaltet“, oder das „WIE“ – die Art und Weise – man zu einen Ziel kommt. Mir geht es um das Wozu? Zu welchem Zweck.

Das ist die zentrale Frage eines jeden ernsthaft geführten Transformationsprozesses. Und wir stecken im Moment in einem tiefgreifenden Transformationsprozess, der alle Bereiche unserer Zivilisation erfasst hat.

Nur gehen wir diesen Prozess noch mit den Fragestellungen nach der Machbarkeit an, wie wir das die letzten 10.000 Jahre der Menschheitsgeschichte getan haben.

Ich für meinen Teil möchte auch in Zukunft von meinen Freunden und Bekannten mit denen ich direkt oder auch indirekt verbunden bin, echte Geburtstagswünsche bekommen oder überbringen, auch wenn es Arbeit für mich bedeutet. Und es kann auch bedeuten, dass ich manchmal zu kurz, zu unpassend, zu launisch oder gar nicht antworte. Denn auch das ist ein Zeichen menschlicher Existenz, dass es manchmal ungerecht zugeht und man nicht jeden gleich behandeln kann bzw. von jedem gleich behandelt wird. Und ich möchte in Zukunft wissen, wenn ein Assistent-Bot mich anruft, um für jemand Dritten einen Termin bei mir zu vereinbaren. Wobei ich es schon ok fände, wenn es sich dabei um einen Bot handeln würde – schließlich gab es in unserer Welt schon früher, die Rolle der persönlichen (analogen) Assistentin/des Assistenten, ein Beruf, der leider aus der Mode gekommen ist und jetzt paradoxerweise wohl wieder in Form eines Algorithmus wieder eingeführt wird.

Schon komisch, denn es ist irgendwie vertraut und doch creepy.

Aber wie auch immer: Die Frage ist nicht ob und wie, sondern wozu.

Und an dieser Stelle sei es deutlich gesagt: Vielen Dank für Eure Geburtstagsgrüße, die Ihr mir geschickt habt und die Ihr mir hoffentlich auch noch in Zukunft persönlich schicken werdet.

Ich bin kein Chatbot 😉